Daniela Walleser — * 10.07.1976 — † 10.06.2023 — #SayHerName — Jeder Name ist Erinnerung, jede Geschichte ein Aufruf: Keine weitere Frau darf Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt werden. Femizide sichtbar machen. #NiUnaMenos
Daniela Walleser
* 10.07.1976 — † 10.06.2023
Daniela war eine kluge, humorvolle und warmherzige Frau – neugierig, belesen und immer auf der Suche nach neuen Horizonten. Sie widmete ihr Leben der Fürsorge für andere und bleibt in unseren Herzen als ein Mensch, der Liebe geschenkt hat und selbst so sehr geliebt wurde.
Ihre Schwester Corina, hat einen berührenden Brief geschrieben und bittet uns um Veröffentlichung ihres Porträts:
Liebes Schwesterherz,
Diesen Brief schreibe ich an dich – nicht, weil du ihn lesen wirst. Ich schreibe ihn, weil du nicht mehr für dich selbst sprechen kannst. Nicht mehr sagen kannst, wer du bist, wofür du lebst, was dir Freude bereitet hat, wovon du geträumt hast. All das kannst du nicht mehr, denn du wurdest ermordet.
Du bist ein Femizidopfer geworden – die 51. Frau, die im Jahr 2023 in Deutschland ermordet wurde.
Wenn eine Frau so ermordet wird wie du, bleibt oft nur das letzte, was über sie geschrieben wird: ein Gerichtsurteil, eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs, sachliche Berichterstattung, die nicht selten die Tat relativiert, bagatellisiert oder gar die Schuld an das Opfer schiebt.
Ich schreibe diesen Brief, damit du in Erinnerung bleibst – als die Person, die du warst, bevor du so unmenschlich aus dem Leben gerissen wurdest. Alles, was ich aus meinem Leben erinnere, hat auch mit dir zu tun. Du warst immer dabei, warst Teil meines Lebens. Vielleicht bin ich die Einzige, die an den Menschen Daniela erinnert – und nicht an das Opfer Daniela.
Wir sind gemeinsam in Mihăileni, einem kleinen Dorf an der ukrainischen Grenze im Nordosten Rumäniens, aufgewachsen. Das raue Leben hatte sich in das Gesicht und die Haut aller Dorfbewohner eingegraben. Es gab nur wenige Momente der Zärtlichkeit und des Trostes. Der größte Trost war: „Sei stark!“ – was wiederum nur bedingt ein Trost war. Ich erinnere mich, wie der Vater dich liebevoll nannte: „Dănelușa tatii!“ – man konnte sein Herz in diesen Worten schlagen hören. Ihr beide wart euch so ähnlich: mit einem unglaublichen Sinn für Humor und immer friedenssuchend warst du definitiv Papas Tochter.
Wir sind allerdings bei unseren Großeltern aufgewachsen. Da sie selbst mit dem Überleben beschäftigt waren, hast du dich immer um mich gekümmert. Anfangs nur, damit ich in der Schule nicht verhauen werde, später hast du für uns beide und die Familie gekocht und dafür gesorgt, dass ich nicht hungrig ins Bett gehen musste.
Im Dorf gab es eine Bibliothek – nach der Kirche der zweitheiligste Ort. Hoffnung und Glaube aller von uns war, dass wir durch Bildung aus der Perspektivlosigkeit des Dorfes und des Kommunismus entkommen könnten. Du hast ein Buch nach dem anderen gelesen. Weißt du noch? Jules Verne – einfach alle Bücher von ihm verschlungen. Ich habe dich so bewundert. Du konntest mir aus allen Büchern erzählen, und die Welt darin war so schön. Wie oft sind wir in Gedanken rund um die Welt gereist!
Mit 14 Jahren bist du ins Internat nach Botoșani gegangen, ein Jahr später kam ich nach. Du warst auf einer Gesundheitspflegeschule, ich auf einem Gymnasium mit Schwerpunkt Informatik, aber wir lebten im gleichen Internat. Wir teilten uns ein Zimmer mit sechs weiteren Schülerinnen – von Privatsphäre konnte keine Rede sein. Erinnerst du dich, wie wir abends nach dem Essen, immer noch hungrig, zur Franzelarie liefen, Brot für alle kauften, es mit der Hand teilten und so unseren Hunger stillten? Der Weg von Mihăileni nach Botoșani war, auch wenn nur 50 km, 1991 immer noch eine Herausforderung. Busse fuhren unregelmäßig, oft nur einmal am Tag. Auf den Bus zu warten wurde zum Sinnbild unseres Wunsches, Chancen im Leben zu ergreifen – manchmal gibt es eben nur eine.
Zuhause hast du dich immer um unsere Wunden gekümmert, sie versorgt, dich bemüht, dass es uns wieder gut ging. Das konntest du nun in der Gesundheitspflege lernen und dich auf einen Beruf vorbereiten, der dir viel Freude machte. Du hast jede Zeitschrift gelesen, in der auch alternative Heilmethoden vorgestellt wurden. Erinnerst du dich? „Formula As“ war definitiv eine deiner Lieblingszeitschriften.
Als unser Bruder 1992 geboren wurde, wurdest du zur „Helikopterschwester“. Du hast dich so liebevoll um ihn gekümmert. „Alexuț“ blieb für uns immer der Kleine – auch als er längst erwachsen war.
Du hast dein Abitur ein Jahr vor mir gemacht. Auch wenn du zwei Jahre älter warst, wurdest du erst mit sieben eingeschult, und so trennten uns nur ein Schuljahr. Am liebsten hättest du Medizin studiert, aber die Aufnahmeprüfungen waren hart und nicht immer fair. Als ich 1996 mein Abitur machte, gingen wir zusammen nach Iași und schrieben die Aufnahmeprüfungen – ich in Informatik, du in Jura. Vater kam mit uns. Obwohl wir kaum Geld hatten, reservierte er für uns drei ein Zimmer im renommierten Hotel Unirea. Wir beide durften im Bett schlafen, er blieb die ganze Nacht im Sessel, halbwacht. Ich schaute lange aus dem Hotelzimmerfenster. Ich wollte mir alles von dieser Stadt einprägen, falls wir die Prüfungen nicht bestehen und für uns nur diese eine Nacht bleibt.
In Iași wohnte ich im Studentenwohnheim, du zur Miete bei einer älteren Frau in Podul Roșu. Ich hatte kaum Geld für die Kantine und konnte im Wohnheim nicht kochen. Drei Jahre lang habe ich fast nur bei dir warm gegessen. Oft lief ich zu Fuß oder fuhr schwarz mit der Straßenbahn zu dir. Es gab immer leckeres Essen und es roch so gut in der Wohnung. Du hast mich ermutigt, die harten Zeiten des Studiums zu überstehen, nicht aufzugeben, weiterzumachen.
Der Weg von Mihăileni nach Iași war nun noch länger, Busse fuhren seltener, und das Geld war knapper. In Iași hatten wir nur uns zwei.
Du hast schnell Freunde gefunden. Ihr angehenden Juristen wart extrovertierter und geselliger als wir Informatiker. Ihr habt öfter gefeiert – so kamen auch unbeschwertere Momente in dein Leben.
Mir wurde früh klar: Man hat eine Chance im Leben, wenn man „pile, cunoștințe și relații“ hat – Beziehungen und Netzwerke – oder wenn man zu den Besten gehört. Wir hatten keine Kontakte, also setzte ich alles auf Leistung. So gelang es mir, 1999 ein Stipendium für Deutschland zu bekommen. Ich brach auf – ohne Sprachkenntnisse, mit geliehenem Geld, weil das Stipendiumsgeld noch nicht da war.
Bis du 2003 selbst nach Deutschland kamst, schrieben wir uns Briefe. Wir erzählten uns von Sehnsüchten, ermutigten uns gegenseitig. Viele dieser Briefe habe ich noch – ich bin eine gute Archivarin.
Als du 2000 dein Jura-Studium beendet hattest, hieß es: 10.000 Dollar Schmiergeld, um dein Referendariat zu bekommen – ein Vermögen, das wir nicht hatten. Dass du nach Deutschland kamst und hier zusammen mit mir wieder Fuß fasstest, war naheliegend. Auch du kanntest die Sprache nicht. So viel Energie, so viele Träume – gefangen im engen Korsett des Wortschatzes, den wir noch nicht beherrschten.
Als mein Sohn Stefan geboren wurde, hast du dich so liebevoll um ihn und um mich gekümmert. Ich war erst 24 und wusste nicht, ob ich in Deutschland noch etwas werden konnte mit einem Kind. Stefan denkt auch heute an dich wie an eine Mutter – die Tante, die wie eine Mutter war, nur cooler.
Dein Jura-Diplom wurde in Deutschland nicht anerkannt. Die Sprache so zu beherrschen, dass du im Gerichtssaal Prozesse führst – das war nicht realistisch. Über Gelegenheitsjobs und Beharrlichkeit hast du eine Ausbildung als Operationstechnische Assistentin an der Uniklinik Freiburg gemacht. Du warst angekommen! Stolz und interessiert erzähltest du mir von deinen Patientinnen und Patienten, vom Wunder des menschlichen Körpers. Auch in Freiburg hast du schnell Freundschaften geschlossen, wurdest Taufpatin der Kinder deiner Freundinnen und hast dein endlich planbares, stabiles Leben genossen.
Nie hast du die Familie in Rumänien vergessen: Pakete, Geld, Telefonate – du hast immer dafür gesorgt, dass es nicht nur dir, sondern möglichst uns allen besser ging.
Als Vater 2004 an Leukämie starb, flogen wir beide nach Rumänien. Weißt du noch, wie du an seinem Sarg gezerrt hast und ihn wieder aufwecken wolltest? Du hast Papa so geliebt. So tragisch, dass er mit nur 54 Jahren verstarb.
Als du 40 wurdest, schenkte ich dir eine Katze – Wuwu, Oppenheimer, Lord Lancelot – viele Namen gabst du ihr. Du hast sie so geliebt.
2016 hast du geheiratet und mit deinem Mann im Schwarzwald gelebt. Wenn wir zu Besuch kamen, roch es in deinem Haus wie immer bei dir: warmes Brot, heiße Suppe, wunderbare Kuchen. Du hast uns immer mit einem vollen Herzen und „masă plină“ empfangen.
Am liebsten bist du gereist. Mit dem stabilen Leben kam die Möglichkeit, all die wunderbaren Orte zu besuchen, die du aus Büchern kanntest. Wie glücklich warst du auf all den Bildern, die ich von dir bekam – das Grün Irlands, die Fahrradtour an der Mosel, London!
Für meinen Sohn Matei wurdest du Taufpatin. Das war für dich weit mehr als nur Tradition – mit so viel Liebe und Verantwortung hast du ihn während der Messe im Arm gehalten.
Wir trafen uns zum letzten Mal am 25.05.2023 in Bad Säckingen. Deine Ehe wurde geschieden. Ich umarmte dich danach und sagte dir: „Jetzt bist du ein freier Mensch!“ Am 10.06.2023, kurz vor 21 Uhr, telefonierten wir noch miteinander, über banale Dinge. Wir hörten früh auf, weil um 21 Uhr das Champions-League-Finale in Istanbul begann. Fünf Minuten später warst du tot.
Liebe Dana, ich werde immer von dir erzählen – von dem Menschen, der 44 Jahre lang ein inniger Teil meines Lebens war. Ein gütiger, selbstloser, fürsorglicher, intelligenter Mensch. Ein kleiner Trost für mich ist der Gedanke, dass man erst dann stirbt, wenn niemand mehr da ist, um über einen zu erzählen.
Mit Liebe und Dankbarkeit,
Deine Schwester
🔥 Hier der Link zu ihrem > Brief (PDF)
Traueranzeigen für Daniela Walleser:
🔥 2023 – BZTrauer
Femizide sichtbar machen
Warum Gesichter und Namen von Femizidopfern sichtbar machen?
🔥 Menschlichkeit statt Zahl
Hinter jeder Statistik steht ein Mensch mit Träumen, Beziehungen, einer Geschichte. Ein Gesicht und ein Name zeigen: Ihr Leben war wertvoll – und wurde brutal beendet.
🔥 Würde und Erinnerung
Die Frauen sind mehr als „Opfer“. Sichtbarkeit würdigt sie als Individuen, nicht als anonyme Zahl. Sie dürfen nicht im Schatten der Täter verschwinden.
🔥 Fokus verschieben
Oft wird über Täter berichtet – ihre Motive, ihre Biografie. Sichtbare Namen und Gesichter rücken die Aufmerksamkeit dorthin, wo sie hingehört: zu den Frauen, die ihr Leben verloren haben.
🔥 Empathie und Bewusstsein
Wenn wir die Opfer sehen, berührt es uns. Das schafft Nähe, macht die strukturelle Dimension von Gewalt sichtbar – und erzeugt gesellschaftlichen Druck für Veränderung.
🔥 Solidarität und Mahnung
Jeder Name ist Erinnerung, jede Geschichte ein Aufruf: Keine weitere Frau darf Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt werden. Sichtbarkeit bedeutet Solidarität – und das klare Signal:
Wir schauen nicht weg. Wir handeln.
🔥 Ursachen von patriarchaler Gewalt erkennen — benennen — verbannen.
Wie fordern dringend die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen:
www.onebillionrising.de/praevention
🔥 Bitte teilen – liken – bedanken – unterstützen – spenden.
www.onebillionrising.de/unterstuetzung
2026 – One Billion Rising
Women on fire – Ni una menos
🔥 Motto 2026: Women on Fire – Ni una menos
🔥 #WomenOnFire
🔥 #NiUnaMenos
🔥 #RiseForEmpathy – Ursachen von Gewalt erkennen – benennen – verbannen. Denn nur wenn wir das „WARUM“ verstehen, finden wir Wege, den Ursachen und Folgen patriarchaler Gewalt entgegenzuwirken.
🔥 Prävention
🔥 One Billion Rising • Mitmachen! • Support-Shop (Shirts, etc.) • Presse • Facebook
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Aktivismus ist wundervoll und so sinngebend … macht jedoch sehr, sehr viel Arbeit. Bitte unterstützt mich durch eine Bestellung im Support-Shop, mit der Bestellung eines Städtebanners (bitte individuell hier anfragen) oder einfach mit einer 🔥 Spende.
Ich danke Euch von Herzen.
Daniela Walleser — * 10.07.1976 — † 10.06.2023 — #SayHerName — Jeder Name ist Erinnerung, jede Geschichte ein Aufruf: Keine weitere Frau darf Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt werden. Femizide sichtbar machen. #NiUnaMenos
Daniela Walleser
* 10.07.1976 — † 10.06.2023
Daniela war eine kluge, humorvolle und warmherzige Frau – neugierig, belesen und immer auf der Suche nach neuen Horizonten. Sie widmete ihr Leben der Fürsorge für andere und bleibt in unseren Herzen als ein Mensch, der Liebe geschenkt hat und selbst so sehr geliebt wurde.
Ihre Schwester Corina, hat einen berührenden Brief geschrieben und bittet uns um Veröffentlichung ihres Porträts:
Liebes Schwesterherz,
Diesen Brief schreibe ich an dich – nicht, weil du ihn lesen wirst. Ich schreibe ihn, weil du nicht mehr für dich selbst sprechen kannst. Nicht mehr sagen kannst, wer du bist, wofür du lebst, was dir Freude bereitet hat, wovon du geträumt hast. All das kannst du nicht mehr, denn du wurdest ermordet.
Du bist ein Femizidopfer geworden – die 51. Frau, die im Jahr 2023 in Deutschland ermordet wurde.
Wenn eine Frau so ermordet wird wie du, bleibt oft nur das letzte, was über sie geschrieben wird: ein Gerichtsurteil, eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs, sachliche Berichterstattung, die nicht selten die Tat relativiert, bagatellisiert oder gar die Schuld an das Opfer schiebt.
Ich schreibe diesen Brief, damit du in Erinnerung bleibst – als die Person, die du warst, bevor du so unmenschlich aus dem Leben gerissen wurdest. Alles, was ich aus meinem Leben erinnere, hat auch mit dir zu tun. Du warst immer dabei, warst Teil meines Lebens. Vielleicht bin ich die Einzige, die an den Menschen Daniela erinnert – und nicht an das Opfer Daniela.
Wir sind gemeinsam in Mihăileni, einem kleinen Dorf an der ukrainischen Grenze im Nordosten Rumäniens, aufgewachsen. Das raue Leben hatte sich in das Gesicht und die Haut aller Dorfbewohner eingegraben. Es gab nur wenige Momente der Zärtlichkeit und des Trostes. Der größte Trost war: „Sei stark!“ – was wiederum nur bedingt ein Trost war. Ich erinnere mich, wie der Vater dich liebevoll nannte: „Dănelușa tatii!“ – man konnte sein Herz in diesen Worten schlagen hören. Ihr beide wart euch so ähnlich: mit einem unglaublichen Sinn für Humor und immer friedenssuchend warst du definitiv Papas Tochter.
Wir sind allerdings bei unseren Großeltern aufgewachsen. Da sie selbst mit dem Überleben beschäftigt waren, hast du dich immer um mich gekümmert. Anfangs nur, damit ich in der Schule nicht verhauen werde, später hast du für uns beide und die Familie gekocht und dafür gesorgt, dass ich nicht hungrig ins Bett gehen musste.
Im Dorf gab es eine Bibliothek – nach der Kirche der zweitheiligste Ort. Hoffnung und Glaube aller von uns war, dass wir durch Bildung aus der Perspektivlosigkeit des Dorfes und des Kommunismus entkommen könnten. Du hast ein Buch nach dem anderen gelesen. Weißt du noch? Jules Verne – einfach alle Bücher von ihm verschlungen. Ich habe dich so bewundert. Du konntest mir aus allen Büchern erzählen, und die Welt darin war so schön. Wie oft sind wir in Gedanken rund um die Welt gereist!
Mit 14 Jahren bist du ins Internat nach Botoșani gegangen, ein Jahr später kam ich nach. Du warst auf einer Gesundheitspflegeschule, ich auf einem Gymnasium mit Schwerpunkt Informatik, aber wir lebten im gleichen Internat. Wir teilten uns ein Zimmer mit sechs weiteren Schülerinnen – von Privatsphäre konnte keine Rede sein. Erinnerst du dich, wie wir abends nach dem Essen, immer noch hungrig, zur Franzelarie liefen, Brot für alle kauften, es mit der Hand teilten und so unseren Hunger stillten? Der Weg von Mihăileni nach Botoșani war, auch wenn nur 50 km, 1991 immer noch eine Herausforderung. Busse fuhren unregelmäßig, oft nur einmal am Tag. Auf den Bus zu warten wurde zum Sinnbild unseres Wunsches, Chancen im Leben zu ergreifen – manchmal gibt es eben nur eine.
Zuhause hast du dich immer um unsere Wunden gekümmert, sie versorgt, dich bemüht, dass es uns wieder gut ging. Das konntest du nun in der Gesundheitspflege lernen und dich auf einen Beruf vorbereiten, der dir viel Freude machte. Du hast jede Zeitschrift gelesen, in der auch alternative Heilmethoden vorgestellt wurden. Erinnerst du dich? „Formula As“ war definitiv eine deiner Lieblingszeitschriften.
Als unser Bruder 1992 geboren wurde, wurdest du zur „Helikopterschwester“. Du hast dich so liebevoll um ihn gekümmert. „Alexuț“ blieb für uns immer der Kleine – auch als er längst erwachsen war.
Du hast dein Abitur ein Jahr vor mir gemacht. Auch wenn du zwei Jahre älter warst, wurdest du erst mit sieben eingeschult, und so trennten uns nur ein Schuljahr. Am liebsten hättest du Medizin studiert, aber die Aufnahmeprüfungen waren hart und nicht immer fair. Als ich 1996 mein Abitur machte, gingen wir zusammen nach Iași und schrieben die Aufnahmeprüfungen – ich in Informatik, du in Jura. Vater kam mit uns. Obwohl wir kaum Geld hatten, reservierte er für uns drei ein Zimmer im renommierten Hotel Unirea. Wir beide durften im Bett schlafen, er blieb die ganze Nacht im Sessel, halbwacht. Ich schaute lange aus dem Hotelzimmerfenster. Ich wollte mir alles von dieser Stadt einprägen, falls wir die Prüfungen nicht bestehen und für uns nur diese eine Nacht bleibt.
In Iași wohnte ich im Studentenwohnheim, du zur Miete bei einer älteren Frau in Podul Roșu. Ich hatte kaum Geld für die Kantine und konnte im Wohnheim nicht kochen. Drei Jahre lang habe ich fast nur bei dir warm gegessen. Oft lief ich zu Fuß oder fuhr schwarz mit der Straßenbahn zu dir. Es gab immer leckeres Essen und es roch so gut in der Wohnung. Du hast mich ermutigt, die harten Zeiten des Studiums zu überstehen, nicht aufzugeben, weiterzumachen.
Der Weg von Mihăileni nach Iași war nun noch länger, Busse fuhren seltener, und das Geld war knapper. In Iași hatten wir nur uns zwei.
Du hast schnell Freunde gefunden. Ihr angehenden Juristen wart extrovertierter und geselliger als wir Informatiker. Ihr habt öfter gefeiert – so kamen auch unbeschwertere Momente in dein Leben.
Mir wurde früh klar: Man hat eine Chance im Leben, wenn man „pile, cunoștințe și relații“ hat – Beziehungen und Netzwerke – oder wenn man zu den Besten gehört. Wir hatten keine Kontakte, also setzte ich alles auf Leistung. So gelang es mir, 1999 ein Stipendium für Deutschland zu bekommen. Ich brach auf – ohne Sprachkenntnisse, mit geliehenem Geld, weil das Stipendiumsgeld noch nicht da war.
Bis du 2003 selbst nach Deutschland kamst, schrieben wir uns Briefe. Wir erzählten uns von Sehnsüchten, ermutigten uns gegenseitig. Viele dieser Briefe habe ich noch – ich bin eine gute Archivarin.
Als du 2000 dein Jura-Studium beendet hattest, hieß es: 10.000 Dollar Schmiergeld, um dein Referendariat zu bekommen – ein Vermögen, das wir nicht hatten. Dass du nach Deutschland kamst und hier zusammen mit mir wieder Fuß fasstest, war naheliegend. Auch du kanntest die Sprache nicht. So viel Energie, so viele Träume – gefangen im engen Korsett des Wortschatzes, den wir noch nicht beherrschten.
Als mein Sohn Stefan geboren wurde, hast du dich so liebevoll um ihn und um mich gekümmert. Ich war erst 24 und wusste nicht, ob ich in Deutschland noch etwas werden konnte mit einem Kind. Stefan denkt auch heute an dich wie an eine Mutter – die Tante, die wie eine Mutter war, nur cooler.
Dein Jura-Diplom wurde in Deutschland nicht anerkannt. Die Sprache so zu beherrschen, dass du im Gerichtssaal Prozesse führst – das war nicht realistisch. Über Gelegenheitsjobs und Beharrlichkeit hast du eine Ausbildung als Operationstechnische Assistentin an der Uniklinik Freiburg gemacht. Du warst angekommen! Stolz und interessiert erzähltest du mir von deinen Patientinnen und Patienten, vom Wunder des menschlichen Körpers. Auch in Freiburg hast du schnell Freundschaften geschlossen, wurdest Taufpatin der Kinder deiner Freundinnen und hast dein endlich planbares, stabiles Leben genossen.
Nie hast du die Familie in Rumänien vergessen: Pakete, Geld, Telefonate – du hast immer dafür gesorgt, dass es nicht nur dir, sondern möglichst uns allen besser ging.
Als Vater 2004 an Leukämie starb, flogen wir beide nach Rumänien. Weißt du noch, wie du an seinem Sarg gezerrt hast und ihn wieder aufwecken wolltest? Du hast Papa so geliebt. So tragisch, dass er mit nur 54 Jahren verstarb.
Als du 40 wurdest, schenkte ich dir eine Katze – Wuwu, Oppenheimer, Lord Lancelot – viele Namen gabst du ihr. Du hast sie so geliebt.
2016 hast du geheiratet und mit deinem Mann im Schwarzwald gelebt. Wenn wir zu Besuch kamen, roch es in deinem Haus wie immer bei dir: warmes Brot, heiße Suppe, wunderbare Kuchen. Du hast uns immer mit einem vollen Herzen und „masă plină“ empfangen.
Am liebsten bist du gereist. Mit dem stabilen Leben kam die Möglichkeit, all die wunderbaren Orte zu besuchen, die du aus Büchern kanntest. Wie glücklich warst du auf all den Bildern, die ich von dir bekam – das Grün Irlands, die Fahrradtour an der Mosel, London!
Für meinen Sohn Matei wurdest du Taufpatin. Das war für dich weit mehr als nur Tradition – mit so viel Liebe und Verantwortung hast du ihn während der Messe im Arm gehalten.
Wir trafen uns zum letzten Mal am 25.05.2023 in Bad Säckingen. Deine Ehe wurde geschieden. Ich umarmte dich danach und sagte dir: „Jetzt bist du ein freier Mensch!“ Am 10.06.2023, kurz vor 21 Uhr, telefonierten wir noch miteinander, über banale Dinge. Wir hörten früh auf, weil um 21 Uhr das Champions-League-Finale in Istanbul begann. Fünf Minuten später warst du tot.
Liebe Dana, ich werde immer von dir erzählen – von dem Menschen, der 44 Jahre lang ein inniger Teil meines Lebens war. Ein gütiger, selbstloser, fürsorglicher, intelligenter Mensch. Ein kleiner Trost für mich ist der Gedanke, dass man erst dann stirbt, wenn niemand mehr da ist, um über einen zu erzählen.
Mit Liebe und Dankbarkeit,
Deine Schwester
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Femizide sichtbar machen
Warum Gesichter und Namen von Femizidopfern sichtbar machen?
🔥 Menschlichkeit statt Zahl
Hinter jeder Statistik steht ein Mensch mit Träumen, Beziehungen, einer Geschichte. Ein Gesicht und ein Name zeigen: Ihr Leben war wertvoll – und wurde brutal beendet.
🔥 Würde und Erinnerung
Die Frauen sind mehr als „Opfer“. Sichtbarkeit würdigt sie als Individuen, nicht als anonyme Zahl. Sie dürfen nicht im Schatten der Täter verschwinden.
🔥 Fokus verschieben
Oft wird über Täter berichtet – ihre Motive, ihre Biografie. Sichtbare Namen und Gesichter rücken die Aufmerksamkeit dorthin, wo sie hingehört: zu den Frauen, die ihr Leben verloren haben.
🔥 Empathie und Bewusstsein
Wenn wir die Opfer sehen, berührt es uns. Das schafft Nähe, macht die strukturelle Dimension von Gewalt sichtbar – und erzeugt gesellschaftlichen Druck für Veränderung.
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